#WissensWerte: "Wir brauchen eine Transformation der Gesellschaft"
Astrid Zielke und Kira Meyer im Gespräch
Kira Meyer: Liebe Astrid, du hast bereits relativ früh – Anfang der 2000er Jahre – begonnen, dich beruflich mit erneuerbaren Energien zu beschäftigen. Wie kam dieses Interesse von dir daran zustande?
Astrid Zielke: Gute Frage, denn ich komme tatsächlich aus einem Elternhaus, wo das gar keine Rolle gespielt hat und es auch gesellschaftlich noch nicht so verankert war. Es gab zwar in den 1980er Jahren die grüne Anti-Atomkraft-Bewegung, allerdings war ich zuerst sogar für Atomkraftwerke, weil mein Freundeskreis dafür war. Doch dann habe ich noch während der Schulzeit erkannt, dass das angesichts der radioaktiven Altlasten nicht die Lösung sein kann, und so bin ich auf die ökologische Schiene gekommen. Aber ich habe nie den Mut gehabt, selbst auf die Straße zu gehen. Ich bin in der heilen Welt einer Vorstadt von Hamburg groß geworden, da gab es diese Szene gar nicht.
Kira Meyer: Wie kam es, dass du trotzdem 'auf die ökologische Schiene gekommen' bist?
Astrid Zielke: Eine Freundin erzählte mir, dass sie keine Baugenehmigung für einen Windpark erhalten habe. Ich hatte zuvor als Anwältin viel Verwaltungsrecht gemacht und habe ihr gesagt: 'Das habe ich ja schon für Supermärkte und Tankstellen hinbekommen. Warum soll ich das nicht auch für den Windpark schaffen?'. Tatsächlich habe ich innerhalb von knapp vier Wochen die Behörde dazu gebracht, diesen Windpark zu genehmigen. So ist das eigentlich per Zufall entstanden, und ich habe mich auf diesen Bereich immer mehr spezialisiert.
Kira Meyer: Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitest du nun im Bereich der erneuerbaren Energien. Welche Stellschrauben hältst du mit diesem Erfahrungshorizont für besonders vielversprechend, um den gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit zu befördern?
Astrid Zielke: Ganz wichtig ist die Akzeptanz am Ort, weil ja vor allem die Anwohner:innen wie auch die Natur vor Ort betroffen sind. Die Bürger:innen sollten sowohl in der Planung als auch gegebenenfalls finanziell, wie bei sogenannten Bürgerwindparks, beteiligt werden. Außerdem könnte die politische Kommunikation in die Gesellschaft hinein verbessert werden: Dass es keine Alternative zur Wende hin zu erneuerbaren Energien gibt – so einen Klartext zu wagen, wäre nötig. Wir müssen die Fakten klarer kommunizieren und gut vermitteln. Wenn den Menschen die Fakten bekannt wären, würden sie – so hoffe ich – auch umdenken.
Kira Meyer: Das Wissen spielt natürlich eine wichtige Rolle – allerdings würde ich behaupten, dass das Wissen über die ökologische Krise in der Bevölkerung schon in einem zufriedenstellenden Maß vorhanden ist. Trotzdem gibt es eine Leerstelle zwischen der Theorie und der Praxis. Die Debatten um den Ausbau von erneuerbaren Energien scheinen mir dafür ein Paradebeispiel zu sein. Dort wird deutlich, was zu oft außen vorgelassen wird: ästhetische Argumente, Emotionen, individuelle Selbstbilder und Wertvorstellungen. Diese Aspekte mit einzubinden, beispielsweise in der gesellschaftlichen Aushandlung der Wege zur Nachhaltigkeit, ist mindestens ebenso wichtig wie die Wissensvermittlung.
Astrid Zielke: Das sehe ich als einen wichtigen Punkt an, der Teil der Kommunikation sein sollte. Diskutieren und herausfinden, wo die Ängste, die Gefühle und die Befindlichkeiten der Betroffenen liegen. Und dann Mut machen. Denn wir brauchen eine Transformation der Gesellschaft, und eine Transformation bedeutet immer große Veränderung – und Menschen haben Angst vor Veränderung. Man muss versuchen, diese Angst zu nehmen, gerade auch vor dem Hintergrund, dass die Veränderungen notwendig sind.
Kira Meyer: Du warst beruflich auch wiederholt in Nordamerika und Kanada tätig und solltest dort Wasserkraft-Projekte auf den Gebieten der first nations realisieren. Dafür hast du mit Indigenen am Verhandlungstisch gesessen. Hast du dabei Perspektiven auf ein gelingendes Mensch-Natur-Verhältnis kennengelernt, die du auch für uns im Westen für bedenkenswert hältst?
Astrid Zielke: Ich habe deren ganz anderes Verhältnis zur Zeit als sehr klug empfunden: Bevor man Eingriffe in die Natur vornimmt, nimmt man sich erst einmal eine längere Bedenkzeit. Das kann auch mal 20 bis 30 Jahre dauern, also eine Generation lang – damit waren wir westlichen Vertreter:innen natürlich nicht so glücklich, konnten diese Bedenkzeit aber durch unser Engagement auch verkürzen. Und generell gilt, dass für die first nations wirtschaftliche Interessen nachgeordnet sind. Für sie steht tatsächlich der Einklang von Mensch und Natur im Vordergrund, und sie haben großen Respekt vor jedem Lebewesen. Wenn das Ökosystem ihres Territoriums durch den geplanten Eingriff Schaden nehmen würde, also beispielsweise deutlich weniger Lachse durch den Fluss schwimmen würden als zuvor, dann ist das Projekt für sie gestorben. Da gibt es eine Kompromisslosigkeit, vor der ich großen Respekt habe. Bei den von mir begleiteten Projekten in Nordamerika mussten Effizienz und Rendite erst einmal hintenanstehen, und häufig wurden die Projekte auch erheblich verändert, so dass die first nations ihr Einverständnis gegeben haben oder sich – das hat mich dann besonders gefreut – sogar selbst an dem Projekt beteiligt haben. Man spürt einfach, dass für die Naturvölker der Kontakt zur Natur zu einem erfüllten Leben dazugehört und sie sie deshalb auch nicht zerstören wollen. Auch im industrialisierten Europa kennen wir das noch: Am Wochenende fahren wir 'ins Grüne', um wieder aufzutanken und uns zu erholen. Die Natur und ihr Beitrag zu einem guten Leben ist der Gesellschaft also durchaus bewusst. Aber es scheint mir wichtig zu sein, die Bedeutung der ökologischen Transformation, die aus meiner Sicht für ein auch künftig gutes Leben zwingend erfolgen muss, besser zu vermitteln.
Kira Meyer: Da stimme ich zu. In vielen politischen und gesellschaftlichen Debatten steht eine Idee vom guten Leben meines Erachtens implizit im Hintergrund. Das müsste explizit gemacht werden durch gesellschaftliche Verständigung über Fragen wie: Was ist eigentlich das gute Leben, das wir uns auch in Zukunft gegenseitig ermöglichen wollen? Gibt es Praktiken, die wir gesetzlich einhegen können, ohne dass es problematisch wird, weil wir uns gesellschaftlich darauf verständigt haben, dass das kein Kernbestandteil des guten Lebens darstellt? Vielleicht ist es mit Blick auf das gute Leben beispielsweise nicht zentral, mit 180 km/h über die Autobahn rasen zu können. In modernen Gesellschaften ist ein gutes Leben mit der Idee der individuellen Freiheit verbunden. Häufig wird Freiheit dabei so verstanden, dass wir tun und lassen können, was wir wollen, solange wir dadurch nicht die Freiheit anderer Personen beschneiden. Vor dem Hintergrund der ökologischen Krise und der notwendigen Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist diese Auffassung aber unzureichend. Freiheit müsste neu gedeutet werden, im Sinne von Freiheit als Verantwortung: Dabei müsste nicht nur die soziale Einbettung, sondern ebenso die natürliche Einbettung des Menschen und ihre Bedeutung für das Erlernen und Ausüben von Freiheit bedacht werden. Freiheit als nachhaltige Freiheit zu verstehen würde heißen, die Verbindung von Natur und Freiheit ernst zu nehmen und persönlich Verantwortung dafür zu übernehmen. Eine 'intakte' Natur ist die Bedingung der Möglichkeit von Freiheit. Zugleich beeinflusst die Einbettung in bestimmte natürliche Umgebungen unsere Identität und damit die Frage, wofür wir unsere Freiheit nutzen wollen. Und nicht zuletzt üben wir viele Freiheiten in und mit der Natur aus.
Astrid Zielke: Wie würdest du eine solche gesellschaftliche Verständigung umsetzen: Regional – oder auf welcher Ebene? Und sollte der Anstoß dafür von 'oben', also aus der Berufspolitik, kommen oder sollte es eher von 'unten', also beispielsweise von sozialen Bewegungen wie Fridays for Future, angestoßen und angeleitet werden?
Kira Meyer: Das kann ich als Philosophin nicht im Alleingang beantworten, da müssten auch andere Disziplinen gehört werden. Man müsste sich fragen, welche Beteiligungsformate vielversprechend sind – und für welche Bereiche. Also zum Beispiel Bürger:innenräte, ausgeloste Gremien, citizen science-Projekte und so weiter. Dabei sollten wir uns auch ansehen, was in anderen Ländern gemacht wird und was dort wirkt. Allerdings muss man auch dafür sorgen, dass die Ergebnisse solche Beteiligungsformate nicht wieder versanden in den etablierten politischen Entscheidungsgremien, sondern dass diese Ergebnisse eine bestimmte Verbindlichkeit erhalten.
„Miteinander" ist – neben „Mut" und „Vertrauen" – einer der drei Kernwerte der Claussen-Simon-Stiftung. Auch das Miteinander von gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, oder anders gesagt die Nachhaltigkeit, spielt für die Stiftung eine wichtige Rolle: In ihrem Selbstverständnis räumt sie „der Verantwortung für kommende Generationen und für eine offene und gerechte Gesellschaft" einen zentralen Platz ein. Was verstehst du, gerade auch in deiner Rolle als Vorständin, unter dieser Selbstverpflichtung zur Nachhaltigkeit – im Sinne der Stiftungscommunity, aber auch darüber hinaus in gesamtgesellschaftlicher Perspektive?
Astrid Zielke: Wir wollen den Personen der Stiftungscommunity Werte vermitteln, von denen wir glauben, dass sie wichtig sind, damit wir eine Nachhaltigkeit unseres Wirkens erzeugen und ein soziales Miteinander befördern. Und wir finden, dass Werte wie Ehrlichkeit, gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen über wirtschaftlichen oder persönlichen Interessen stehen. Dabei wünschen wir uns, dass diese Werte über den inneren Kreis der Stiftung hinaus getragen werden. Denn wir als Stiftung können nur einen kleinen Stein werfen, die Ringe müssen sich dann bilden – das ist die Verantwortung der Geförderten.
Kira Meyer: Die drei Stiftungswerte „Mut, Vertrauen, Miteinander" scheinen mir grundsätzlich auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft eine Rolle zu spielen. Wie siehst du das: Welche Art von Mut brauchen wir, wenn wir uns zu einer nachhaltigen Gesellschaft transformieren wollen? Welche Rolle spielt das Vertrauen dabei?
Astrid Zielke: Ich greife mir mal zuerst den Mut auf: Bei unserem Alumni:ae-Treffen 2021 hatten wir bei einer Stiftungsveranstaltung Harald Welzer als Referenten zu Gast. Er sagte, wir müssen Mut haben, etwas zu verändern. Dieser Aufruf hat mir den letzten Schubs gegeben für Veränderung bei mir selbst. Tatsächlich habe ich mich am nächsten Tag entschieden, die renommierte – aber eben auch sehr konventionelle – Großkanzlei zu verlassen und eine eigene Kanzlei für erneuerbare Energien zu gründen, und zudem habe ich am selben Tag mein Auto verkauft. Beides fand ich, ebenso wie mein Freundeskreis, mutig, denn ich musste damit meine Komfortzone verlassen. Aber ich fühlte mich gut bei der Vorstellung, die Energiewende künftig aus einer kleinen Anwalts-Boutique heraus individueller begleiten zu können. Und auch mit dem Verzicht auf das Auto fühlte ich mich gut, weil es richtig ist und ich dadurch ein Teil der Transformation bin. Dass ich somit ein gutes Beispiel für meine Freunde sein konnte, erfüllt mich mit einem positiven Selbstwertgefühl: Wie gut dies ist zu erfahren, selbst Teil der Transformation zu sein, müsste man transportieren, zum Beispiel in der Art: „Seid nicht traurig, wenn ihr nur 120 km/h fahren dürft, sondern fühlt euch gut!"
Für mutige Handlungen braucht es natürlich unbedingt Vertrauen: In sich selbst, aber auch in andere. Wir müssen vertrauen, dass die anderen uns bei neuen Denkansätzen und bei mutigem Handeln mit Wohlwollen begegnen und dass sie einem helfen werden, wenn man es brauchen sollte.
Kira Meyer: Das erscheint mir sehr plausibel: Auf die positiven und freudvollen Momente der ökologischen Transformation fokussieren – davon erzählen, was die Menschen gewinnen können durch die Verwirklichung von Nachhaltigkeit. Und, wo immer möglich, den Wunsch nach Selbstwirksamkeit berücksichtigen: Beispielsweise in Form der Beteiligung an politischen Entscheidungsfindungen, über die wir sprachen. Zugleich denke ich, dass die Individuen und ihre Entscheidungen in Strukturen eingebettet sein müssen, die durch gesellschaftliche und politische Aushandlung und Entscheidungen so ausgestaltet sein sollten, dass die nachhaltige Nutzung unserer Freiheit erleichtert und befördert wird. Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs wäre dafür ein gutes Beispiel: Dadurch würde es uns allen einfacher gemacht, sich auf eine weniger CO2-intensive Art und Weise fortzubewegen. Die Entscheidung für die Nutzung des ÖPNVs anstelle eines Autos könnte ein Ausdruck der Realisierung einer nachhaltigen Freiheit sein, da somit zugleich die zuvor angesprochene Verbindung von Freiheit und Natur berücksichtigt werden würde.
Astrid Zielke: Der Konsum spielt dabei, glaube ich, eine besonders große Rolle. Wir müssen umdenken: Weniger ist letztendlich mehr. Weil weniger Konsum heißt: mehr für unseren Planeten, für unsere Welt und damit ja letztlich auch wieder für uns selbst. Da sind wir wieder bei dem Punkt, den wir vorhin besprochen haben: Klartext ist notwendig für eine wirkliche Wende. Und dabei eben auch vermitteln, dass Verzicht ganz neue Freiheiten eröffnen und so Verantwortung Gestalt annehmen kann. Diese Botschaft ist bisher noch nicht in der Gesellschaft angekommen, und hier ist jeder einzelne – allen voran die Politiker – gefordert, Klartext zu reden.
Kira Meyer: Da würde ich absolut mitgehen, also wegzukommen von der Vorstellung, dass sich Freiheit in der Menge an Optionen niederschlägt, und eher darüber zu sprechen, was wir für qualitativ wertvolle und nachhaltige Formen von Freiheit halten. Vielen Dank, liebe Astrid, für dieses spannende Gespräch!
Astrid Zielke ist Transaktions- und Vertragsanwältin mit eigener Kanzlei und legt in ihrer Arbeit seit mehr als 20 Jahren einen besonderen Schwerpunkt auf die Branchen der Erneuerbaren Energien. Sie ist Mitglied des Aufsichtsrates der Clearvise AG und der Kontora Kapitalverwaltung mbH und war langjähriges Mitglied im Aufsichtsrat der PNE AG und Vorsitzende des Aufsichtsrates der WKN Windkraft Nord AG. Zudem war sie mehrere Jahre Geschäftsführerin einer Hamburger Immobiliengesellschaft sowie Vorständin einer international tätigen Projektentwicklungsgesellschaft. Astrid Zielke ist seit 2016 im Vorstand der Claussen-Simon-Stiftung ehrenamtlich engagiert.
Kira Meyer, Stipendiatin im Dissertation Plus-Programm, studierte Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. In ihrer Doktorarbeit entwickelt sie eine Konzeption nachhaltiger Freiheit. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel am Lehrstuhl für Philosophie und Ethik der Umwelt. Sie begeistert sich für Wissenschaftskommunikation und arbeitet daher als freie Journalistin daran, wissenschaftliche Themen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
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