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#WissensWerte: Über offene Werkstätten, die Chancen für Jugendliche und das Konzept der Fab City – Christine Geupel im Gespräch mit Axel Sylvester, Gründer von Fab Lab Fabulous St. Pauli e.V.
Christine Geupel, Bereichsleitung Bildung & Schule, im Gespräch mit Axel Sylvester
Christine Geupel: Lieber Axel, wir sitzen hier im Fab Lab Fabulous St. Pauli. Beschreib doch zu Beginn einmal, was ein Fab Lab ist und was hier passiert.
Axel Sylvester: Ein Fab Lab ist ein Labor, eine Werkstatt für alle. Die Bezeichnung steht für „Fabrication Laboratories“, manche sagen auch Makerspace. Kernanliegen der Fab Labs ist es, dass jeder und jede erkennt, dass Technik keine unzugängliche Black Box ist. Alle können damit arbeiten. Die Fab Labs sind Orte, um ungewöhnliche, individuelle Lösungen zu entwickeln und auszuprobieren, die es im klassischen Marktumfeld schwer haben. Darin liegt das große Potenzial. Mein Freund und Mitgründer vom Fabulous St. Pauli Niels Boeing hat es so schön formuliert, dass wir ein „Inkubator für Fähigkeiten“ sind.
Wir bieten hier im Fab Lab St. Pauli eine offene Werkstatt mit Maschinen für digitale Fertigung. Das heißt, dass hier mit computergesteuerten Geräten physische Dinge hergestellt werden können. Es gibt zum Beispiel 3D-Drucker und Lasercutter, mit denen man Holz, Stoff oder Leder schneiden kann. Außerdem haben wir CNC-Fräsen, und es gibt eine computergesteuerte Strickmaschine, die anhand eines hochgeladenen Bildes das abgebildete Muster strickt. Wir haben auch einen Bereich zu Elektronikentwicklung, in dem beispielsweise Platinen entworfen und gebaut werden können. Die hier entwickelten Geräte können genutzt werden, um Umweltdaten auszulesen oder um Steuerungen in Maschinen und Motoren einzubauen. Und natürlich haben wir auch klassisches Handwerkzeug.
Christine Geupel: Das klingt nach einer riesigen Fülle an Möglichkeiten. Was ist hier in letzter Zeit entstanden?
Axel Sylvester: Hier auf dem Tisch steht eine kleine Vase. Sie hat eine Spiralform, die man von Hand eigentlich nicht herstellen kann, deswegen wurde sie mit dem 3D-Drucker in Plastik ausgedruckt. Es ist der große Vorteil vom 3D-Druck, dass man damit Formen schaffen kann, die mit traditionellen Werkzeugen nur sehr schwer oder gar nicht hergestellt werden können. An den Druckern werden auch sehr gerne Ersatzteile hergestellt. Es gab auch mal jemanden, der hat alle mechanischen Teile für ein Elektro-Skateboard mit Sattel und Motor gedruckt.
Ein besonderes Projekt liegt einige Jahre zurück: Da konnten Interessierte aus ganz Hamburg im Fab Lab ihre eigenen Mobiltelefone bauen. Die Bauteile waren eingekauft, aber die Open-Source Soft- und Hardware, die Sensoren, Schalter, das Gehäuse und so weiter konnten sie hier selbst aufbauen, entwickeln und anpassen. Die Behörde für Kultur und Medien hatte damals erkannt, dass das ein interessantes Projekt ist und es über den Elbkulturfonds gefördert. Bei diesem Projekt – und dem Fab Lab insgesamt – geht es auch darum, die Gegenstände, die wir jeden Tag benutzen, in ihrer Funktion und ihrem Aufbau zu verstehen.
Christine Geupel: Zu verstehen, wie Dinge funktionieren – war das der Ansporn, aus dem heraus ihr 2011 diese Initiative gegründet habt? Woher kommt die Idee der Fab Labs, und was waren eure Ziele?
Axel Sylvester: Die Idee für Fab Labs geht zurück auf den Physiker Neil Gershenfeld, Professor am Massachusetts Institute of Technology, kurz MIT, und Leiter des dortigen „Center for Bits and Atoms“. Er hatte den Kurs „How to Make (Almost) Anything“ angeboten und erwartet, dass daran seine Ingenieursstudierenden teilnehmen. Er war dann sehr überrascht, dass dieser Kurs von allen Studierenden des MIT überrannt wurde. Zum Beispiel hat die Künstlerin Kelly Dobson dort einen Screambody gebaut. Das ist ein Gerät, in das man hineinschreien kann, wenn es gerade nicht angebracht ist, laut zu schreien. In der Bahn oder Mensa zum Beispiel. Dieser Schrei wird aufgenommen, und dann kann man ihn draußen auf der Straße wieder freilassen. Für die künstlerische Verarbeitung brauchte sie Elektronik, um die Schreie in Ton und Geschwindigkeit zu modellieren. Das war ein Aha-Effekt für Gershenfeld. Er sagte sich: Wenn wir unsere Technik und unsere Geräte verschiedenen Leuten an die Hand geben, dann entstehen dabei sehr unterschiedliche Dinge.
Das war auch bei uns die grundlegende Idee. Wir haben mit sieben, acht Leuten den Verein gegründet, um Zugang zu Technik und Geräten zu ermöglichen. Dadurch haben sich dann weitere Perspektiven eröffnet: Der Bildungsaspekt etwa oder die stadtpolitische Perspektive.
Christin Geupel: Was ist damit genau gemeint?
Axel Sylvester: Mit Fab Labs können die Produktion und das Wissen um die Herstellung von Dingen in den Stadtteilen gehalten werden. Es ist leider so, dass Handwerksbetriebe wegen zu hoher Mieten oder Auflagen zunehmend aus den Quartieren verdrängt werden. Das haben wir bei uns auf St. Pauli erlebt. Dadurch sind die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit von Betrieben nicht mehr da. Wir haben gesehen, dass es besonders für benachteiligte Jugendliche schwieriger wurde, an Jobs zu kommen. Davor sind sie über einen Kumpel in den Betrieb gekommen oder haben in der Werkstatt vorbeigeschaut – dieser barrierearme Zugang zum Handwerk fehlt nun total. Das Fab Lab füllt diese Lücke. Hier können alle Leute herkommen, die etwas ausprobieren wollen, die professionell arbeiten – aber auch Schulen und andere Bildungseinrichtungen.
Christine Geupel: Die Jugendarbeit ist also ein wichtiger Bestandteil eurer Arbeit?
Axel Sylvester: Absolut. Ich habe mal mit einem Bekannten gesprochen, der mit Jugendlichen in Werkstätten arbeitet, und der meinte, dass sie dort zum Beispiel Laubsägearbeiten machen. Zu wissen, wie man eine Säge bedient, ist natürlich wichtig, aber ein Holzmodellauto ist nicht besonders zukunftsorientiert. Im Fab Lab können modernste Techniken ausprobiert und angewendet werden, die auch in der Industrie Verwendung finden. Hier kann man Prototypen entwickeln, die dann in großer Stückzahl oder in einem anderen Material in Serie gehen können. Mit dieser Freiheit – das sehen wir häufig – tun sich Kinder und Jugendliche zunächst oft schwer. Viele sind es gewohnt, konkrete Aufgaben gestellt zu bekommen. Aber schnell sind sie dann total begeistert, dass sie hier diese völlige Freiheit haben, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Wir bieten die Chance, wirkliche Praxis kennenzulernen und persönlich relevante Dinge für sich auszuprobieren und herzustellen.
Christine Geupel: Die Fantasie und der Entdeckergeist der Jugendlichen werden also angeregt, und sie entdecken plötzlich Ideen und Möglichkeiten, die ihnen vorher gar nicht bewusst waren.
Axel Sylvester: Ja, genau. Wenn Kinder und Jugendliche erkennen, wie Dinge technisch umgesetzt werden können, dann sind sie auch sehr schnell dabei, eigene Lösungen entwickeln und ihre eigenen Vorstellungen umsetzen zu wollen.
Christine Geupel: Ihr kooperiert mit Schulen und bietet verschiedene Workshops an. Was ist dabei entstanden?
Axel Sylvester: Ein sehr gutes Projekt war ein Lampen-Bau-Kurs. Da haben wir hier mit einer Oberstufenklasse Lampen gebaut und dafür die Entwürfe der Jugendlichen verwendet. Bei solchen Workshops zeigt sich immer wieder, wie super es wäre, wenn die Jugendlichen mehr Zeit im Lab hätten, um ihre Projekte weiterzuentwickeln.
Christine Geupel: Die Claussen-Simon-Stiftung hat einige Projekte gefördert, bei denen Schulen eigene Makerspaces aufbauen, beispielsweise an der Stadtteilschule Horn und der Schule Stübenhofer Weg. Warum glaubst Du, dass diese Erfahrung für Jugendliche wichtig ist? Welche Zukunftskompetenzen erwerben Schüler:innen, wenn ihnen neben der Holzwerkstatt auch neueste Maschinen wie 3D-Drucker zur Verfügung stehen?
Axel Sylvester: Zum einen sind Geräte wie 3D-Drucker natürlich zukunftsweisende Arbeitsgeräte. Es ist gut, diese schon in der Schule kennenzulernen. Aber dann ist da noch der große Vorteil Open Source, mit dem wir im Fab Lab intensiv arbeiten. Wenn man digital arbeitet, kann man sehr gut auf den Ideen und der Arbeit von anderen aufbauen – zum Beispiel auf bereits existierenden Bildern – und diese weiterentwickeln. Es ist alles sehr kollaborativ. Schüler:innen werden mit solchen Makerspaces aber auch an den Punkt gebracht, an dem sie ihre eigenen Lernmittel nach Bedarf selbst herstellen können. Das ist nicht auf den technischen Bereich beschränkt. Wir hatten mal junge Leute aus Amerika da, die ihre Poesieprojekte mit einem Lasercutter auf selbstgemachtes Papier aufgebracht haben. Das hat ihren Gedichten nochmal eine ganz andere Wertigkeit gegeben und sie in ihrer Arbeit bestärkt.
Christine Geupel: Das hört sich alles sehr spannend an. Da stellt sich die Frage: Wie kann ich diese Werkstatt nutzen und aktiv Teil des Ganzen werden?
Axel Sylvester: Das Fab Lab St. Pauli ist immer donnerstags von 16:30 Uhr bis spät abends geöffnet und wird ehrenamtlich betreut. Die Mitglieder können das Lab auch zu anderen Zeiten nutzen. Wir bieten darüber hinaus Einführungen in die Konzepte der Fab City und der Fab Labs. Außerdem gibt es Fachvorträge und Workshops.
Christine Geupel: Was ist denn eine Fab City?
Axel Sylvester: Fab City ist sozusagen die übergeordnete Organisation, in der sich die einzelnen Initiativen zusammengefunden haben. Dabei handelt es sich um eine internationale Bewegung. Das Ziel von einer Fab City ist es, bis 2054 alles, was eine Stadt konsumiert, in der Stadt selbst herstellen zu können. Das ist natürlich ein weitreichendes Ziel. Grundgedanke dabei ist die „circular economy“. Das heißt, die Ressourcen und Rohstoffe sollten aus der Region kommen, und die Produkte sollen sehr lange und auf vielfältige Art genutzt werden. Wir wollen weg von der Wegwerf-Gesellschaft und hin zu Kreisläufen und lokaler Wertschöpfung. Die Stadt Hamburg ist als erste deutsche Stadt dem Fab City Netzwerk beigetreten und unterstützt unser Vorhaben.
Christine Geupel: Du sagtest, dass das Fab Lab St. Pauli ein Verein ist und Mitglieder hat. Ist die Gruppe der Mitglieder geschlossen oder werden auch neue Mitglieder aufgenommen?
Axel Sylvester: Jede:r kann Mitglied werden. Das Fab Lab ist grundsätzlich als offenes Konzept gedacht, an dem jede:r mitmachen kann.
Christine Geupel: Können Jugendzentren und andere Einrichtungen, die selbst einen Makerspace aufbauen wollen, auf euch zukommen? Bietet ihr Beratung an?
Axel Sylvester: Ja, das macht der Dachverband Fab City. Da es mit sechs Fab Labs bei 104 Stadtteilen natürlich durchaus mehr Bedarf gibt, gehen wir als Fab City auch zu Communities und unterstützen diese mit Know-how. Wie man Fördermittel akquiriert, zum Beispiel. Ich weiß, dass es in elf Schulen Makerspaces gibt, die von der Behörde für Schule und Berufsbildung gefördert wurden. Das ist aber natürlich noch nicht genug und es gibt noch viel zu tun!
Christine Geupel: Seid ihr am Aufbau von Makerspaces an Schulen involviert?
Axel Sylvester: Ja, wir kooperieren direkt mit verschiedenen Schulen. Und auch darüber hinaus ist viel in Bewegung. Es gibt zum Beispiel das Netzwerk „Makerspaces in Hamburger Schulen MiSHN“ von engagierten Lehrer:innen und Schulleiter:innen, mit dem wir vom Fab Lab St. Pauli schon lange zusammenarbeiten.
Christine Geupel: Ihr habt also schon viel erreicht, aber bis 2054 ist noch viel zu tun. Die Ziele der Fab City – Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung und so weiter – klingen wie eine Utopie, von der wir zurzeit noch weit entfernt sind. Was stimmt dich hoffnungsvoll, dass diese Ziele erreicht werden können und die Herausforderungen gemeistert werden?
Axel Sylvester: Beispielsweise das Handy-Projekt, von dem ich vorhin sprach. Als wir das 2014 gemacht haben, waren wir der einzige Ort in Deutschland, in dem Handys gebaut werden konnten. Das gab es in dieser Form in keiner deutschen Stadt. Außerdem werden insgesamt Prozesse immer digitaler gedacht. Zum Beispiel werden Dinge direkt am Computer designt, die Entwicklung von Prototypen wird viel einfacher. Alles ist ein bisschen durchlässiger geworden, und es gibt viel mehr individuelle Entwicklungen. Dadurch entsteht eine eigene Dynamik.
Christine Geupel: Zum Abschluss: Was wünscht du dir für die Fab City-Bewegung und euer Fab Lab St. Pauli? Was sind deine Ziele?
Axel Sylvester: Also zunächst kann ich festhalten, dass wir seit den Anfängen schon viel erreicht haben. Das Fab Lab St. Pauli hat einen dauerhaften Raum mit ausreichend Platz, und die Geräte sind finanziert.
Besonders wichtig ist mir, dass die Idee weitergetragen wird, dass sich das Konzept etabliert und mit Leben gefüllt wird. Dafür gibt es aber keinen Masterplan, an den sich alle halten müssen, denn diejenigen, die Fab Labs aufbauen und darin arbeiten, sind ja sehr unterschiedlich und haben verschiedene Ansprüche. Das ist auch das Spannende daran. Aber es ist auch ganz wichtig, dass ein Verständnis für Fab Labs entsteht und Vorhaben dieser Art nicht erst langwierig erklärt werden müssen. Ich wünsche mir auch mehr Vertrauen von den Vermieter:innen der Flächen, dass das, was wir tun, Hand und Fuß hat. Außerdem ist die Öffentlichkeit wichtig – Privatpersonen, Behörden und Stiftungen. Sie muss sich auf uns einlassen, unserem Konzept Vertrauen schenken und uns unterstützen. Ich bin überzeugt, dass sehr viele Menschen und Lebensbereiche von Fab Labs profitieren und von dem offenen Zugang zu Technik und Wissen, den sie bieten.
Christine Geupel: Vielen Dank für diese spannenden Einblicke und alles Gute für eure Arbeit!
Über Axel Sylvester
Axel Sylvester ist Geschäftsführer des Fab City Hamburg e.V. und Mitgründer des Fab Lab Fabulous St. Pauli. Er studierte Wirtschaftsinformatik an der Universität Hamburg und Technologie- und Innovationsmanagement an der Universität Bremen. Vor seiner Tätigkeit bei Fab City arbeitete er im Bereich Technologie- und Innovationsmanagement für namhafte deutsche und internationale Unternehmen.
Axel Sylvester kuratiert und organisiert Veranstaltungen wie „Fábrica – Technik meets Kunst meets DIY-Kultur“ (2014), das „Creativ Technology and Media Arts Meetup – CTAMA“ (seit 2015) oder das Projekt „A/D/A“ (2016). Letztere sind maßgeblich in Zusammenarbeit mit seinen Kollaborationspartnerinnen Jeanne Charlotte Vogt und Alexandra Waligorski entstanden.
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