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Begabungsförderung an Hamburger LemaS-Schulen: Wie Enrichment-Kurse die Schule verändern
Andreas Terfloth, LemaS-Netzwerkkoordination am Landesinstitut für Lehrerbildung & Schulentwicklung
"Wir müssen entscheiden: Nehmen wir mehr Treibstoff mit oder zusätzliche Sauerstoffreserven?" Der zehnjährige Ahmet runzelt die Stirn, während er mit seinen Mitschüler:innen über die Missionsstrategie für ihre Reise zum Mars diskutiert. "Wenn wir zu viel Sauerstoff einplanen, können wir vielleicht nicht genug wissenschaftliche Instrumente mitnehmen. Neben ihm rechnet Sarah blitzschnell nach: "Aber wenn wir zu wenig haben, könnte uns unterwegs die Luft ausgehen!" Die Klasse ist tief in ihr Szenario vertieft – ein Planspiel, das nicht nur Wissen über Astrophysik vermittelt, sondern auch kritisches Denken und Entscheidungsfähigkeit fördert.
Enrichment an Hamburger LemaS-Schulen – Mehr als nur zusätzlicher Unterricht
Dieses Planspiel ist Teil des Enrichment-Programms der Beratungsstelle besondere Begabungen des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg. An den 43 Schulen, die an der Bund-Länder-Initiative „Leistung macht Schule (LemaS)“ teilnehmen, haben besonders interessierte und leistungsfähige Schüler:innen die Möglichkeit, an Kursen teilzunehmen, die weit über den regulären Unterricht hinausgehen. Ob Spieltheorie, Aktionskunst, kreatives Schreiben oder Astrophysik – das Angebot ist vielfältig und eröffnet Räume für selbstständiges, vertieftes Lernen. Dafür kommen externe Expert:innen aus der Wissenschaft und Praxis an die Schulen und arbeiten gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen. Also kein normaler Unterricht, sondern Praxisbezug pur.
Was macht diese Kurse so besonders? Und warum sind sie mehr als nur eine willkommene Herausforderung für potenziell besonders leistungsfähige Kinder?
Begabungsförderung als Impuls für die Schulentwicklung
Die Enrichment-Kurse wirken auf mehreren Ebenen:
• Individuelle Förderung: Kinder und Jugendliche, die in bestimmten Bereichen besondere Begabungen zeigen, erhalten die Möglichkeit, ihre Interessen zu vertiefen und in einem herausfordernden Umfeld Gleichgesinnte zu treffen. "Ich dachte immer, ich bin die Einzige, die sich für Mathematik interessiert. Jetzt kann ich mich endlich mit anderen austauschen!“ erzählt Mia, eine Schülerin aus dem Kurs zur Spieltheorie.
• Verankerung eines Nominationssystems: Viele Schulen, die am Enrichment-Programm teilnehmen, führen ein strukturiertes Nominierungssystem ein. Lehrkräfte können Kinder für bestimmte Kurse vorschlagen, oder die Schüler:innen dürfen sich selbst bewerben. Diese gezielte Identifikation potenziell besonders leistungsfähiger Schüler:innen sorgt nicht nur für eine gerechtere Förderung, unabhängig von Geschlecht, familären oder sozialen Hintergrund, sondern sensibilisiert das gesamte Kollegium für das Thema Begabung.
• Langfristige Veränderungen in der Unterrichtskultur: Die Erfahrungen aus den Enrichment-Kursen fließen zurück in den Regelunterricht. Viele Schulen entwickeln durch die Impulse aus den Kursen neue Formate für projektbasiertes Lernen, offene Aufgabenstellungen und differenzierte Lehrmethoden.
Schulen als Orte der Talententfaltung
Das Enrichment-Programm zeigt, dass Begabungsförderung nicht nur einigen wenigen Kindern zugutekommen sollte, sondern eine Chance für die gesamte Schule darstellt. Wenn Begabungen ernst genommen werden, entstehen neue Wege des Lernens – und Schulen entwickeln sich insgesamt weiter, zum Vorteil für alle Schüler:innen.
Oder, wie es Ahmet aus dem Kurs "Unsere Reise zum Mars" formuliert: "Wenn wir nur an den Start denken, vergessen wir, was unterwegs passieren kann. Wir müssen vorausdenken."
Ein Satz, der nicht nur für den Weg zum Mars gilt, sondern für die gesamte Schulentwicklung.
Die Bund-Länder-Initiative "Leistung macht Schule" (LemaS) ist ein gemeinsames Projekt von Bund und Ländern zur Förderung leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähiger Schüler:innen. Das Hauptziel der Initiative ist es, allen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, ihre Talente zu entfalten, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrem sozialen Status.
Die Initiative ist in zwei Phasen unterteilt:
1. Erste Phase (Januar 2018 bis Juni 2023): 300 allgemeinbildende Schulen arbeiteten mit einem Forschungsverbund aus 18 Universitäten und Hochschulen zusammen, um Strategien, Konzepte, Maßnahmen und Materialien für eine begabungs- und leistungsfreundliche Schul- und Unterrichtskultur zu entwickeln und zu erproben.
2. Zweite Phase (Juli 2023 bis Juni 2028): In dieser aktuellen Transferphase werden die Erfahrungen und Produkte der ersten Phase auf weitere Schulen übertragen. Rund 850 Schulen nehmen bundesweit an dieser Phase teil, wobei neue Netzwerke gebildet werden, in denen LemaS-Schulen der ersten Phase ihr Wissen an neue Schulen weitergeben.
Die Initiative konzentriert sich auf verschiedene Bereiche, darunter:
- Entwicklung eines schulischen Leitbilds für leistungsfördernde Schulentwicklung
- Förderung im Regelunterricht
- Diagnose und Beratung
- Außerunterrichtliche Förderangebote (Enrichment)
LemaS zielt darauf ab, langfristig an allen Schulen die Begabten- und Leistungsförderung nachhaltig zu etablieren und eine leistungsfördernde Schulkultur zu entwickeln.
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